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Patriarchen in kunstvollen Gewändern, Ikonenverehrung, Chorgesänge und duftender Weihrauch - all das verbinden wir mit "Orthodoxem Christentum". Während die einen unter Orthodoxie eine altertümliche Form des Christentums sehen, sind andere wiederum von ihrer kultischen Mystik und Spiritualität angetan. Beide Wahrnehmungen sind allerdings zu einseitig und tragen vielfach zu einem verfälschten Bild der Orthodoxie bei. Ein kurzer geschichtlicher Abriss ist für ein besseres Verstehen des Orthodoxen Christentums notwendig.
1. Entstehung
Im Jahr 395 n. Chr. erfolgte die Teilung des römischen Imperiums in einen west- und einen oströmischen Reichsteil. Konstantinopel wurde zur Hauptstadt des oströmischen Reichs, das bis zur Eroberung durch die Türken 1453 existieren sollte. Mit der Hauptstadtwürde bekam Konstantinopel auch die kirchlichen Ehrenrechte Roms übertragen. Konstantinopel wurde so zum zweitwichtigsten Zentrum der damaligen Kirche. Neben den Patriarchaten (Patriarchat: kirchliche Zentralstelle, vergleichbar mit dem Bischofssitz einer Diözese) Rom und Konstantinopel entstanden auch die Patriarchate Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Innerhalb der Gemeinschaft der selbstständigen Kirchen hatte der Bischof von Rom (der Papst) den Rang als "Erster unter Gleichen" inne, gefolgt vom Patriarchen von Konstantinopel.
Unterschiedliche theologische Meinungen und gegenseitige Bannsprüche zwischen West- und Ostkirche führten schließlich zur Kirchenspaltung im Jahr 1054. So kam in der Ostkirche dem Patriarchen von Konstantinopel der erste Rang zu, den er bis heute inne hat. Er ist heute vorsitzender Patriarch innerhalb der Gemeinschaft aller orthodoxen Kirchen.
2. Die Bedeutung des Wortes "orthodox"
Orthodoxe Kirche wird oft als "Kirche der Rechtgläubigkeit" übersetzt. Was ist damit gemeint? Orthodox kann zum einen "rechtes Lobpreisen", zum anderen "rechte Lehre" bedeuten.
So verstanden heißt Orthodoxe Kirche einerseits Kirche der rechten Lobpreisung Gottes, aber auch Kirche des rechten Glaubens, der rechten Lehre. Orthodoxe legen besonderen Wert darauf, eine Kirche der rechten Lobpreisung des Dreieinigen Gottes (Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist) zu sein. Die Lehre der Heiligen Dreifaltigkeit ist das zentrale Thema der orthodoxen Theologie, "das unerschütterliche Fundament allen religiösen Denkens, aller Frömmigkeit, allen geistlichen Lebens, aller mystischen Erfahrung." (Grigorios Larentzakis)
Ein weiterer charakteristischer Zug orthodoxer Theologie ist ihre Betonung des Nicht-Wissens: Gott wird als unfassbar, unbegreifbar und unerkennbar beschrieben. So sagt Kyrillos von Jerusalem (386): "In den göttlichen Dingen ist es ein großes Wissen, das Nicht-Wissen zu gestehen."
Orthodoxes Christentum zeichnet sich durch ihre reiche kultische Überlieferung, ihre aus dem Herzen kommende, profunde Spiritualität und ihre Theologie voll mystischer Tiefe aus. Während die katholische Kirche ihren Ursprung von der römischen Gemeinde und dem Apostel Petrus ableitet, meinen die Orthodoxen, direkt von der Urgemeinde in Jerusalem abzustammen.
3. Normen und Regeln in der Orthodoxie
Wie bereits angedeutet gibt es auch in der Orthodoxen Kirche Normen und Regeln, also Dogmen. Diese werden als Hilfen und Wegweiser für die Gläubigen verstanden. In erster Linie dienen diese Regeln jedoch zur rechten Lobpreisung Gottes: "Orthodoxie ist nicht abstrakte rechte Lehre, sondern rechte Lobpreisung Gottes, die sich im rechten Glauben, Kult und Leben der Kirche verwirklicht."
4. Inhalte des Glaubens
Wichtigste Quelle des christlichen Glaubens ist auch in der Orthodoxen Kirche die Heilige Schrift. Der biblische Glaube bildet das Fundament und den Ausgangspunkt für die Theologie. Großen Einfluss auf die Lehre haben darüber hinaus die Kirchenväter (die Zeit der Kirchenväter reicht von der Zeit der Apostel bis etwa 800 n. Chr. ) und die Entscheidungen der Ökumenischen Konzilien (Kirchenversammlungen, die für alle christlichen Kirchen von Bedeutung sind.)
Die Ostkirchen stützen sich auf das Glaubensbekenntnis der Gesamtkirche. Dieses wurde endgültig im Jahr 381 in Konstantinopel formuliert. Aufgrund des gemeinsamen Weges bis zur Kirchenspaltung im Jahre 1054 haben West- und Ostkirche also dasselbe Fundament, nämlich den Glauben an den drei-einen Gott: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es bis heute auch Trennendes zwischen römischen und östlichen Kirchen: vor allem die Institution des Papsttums und das Dogma bezüglich der Unfehlbarkeit des Papstes von 1870. Unterschiede gibt es nicht nur zwischen den beiden großen Traditionen (Ost und West), sondern auch zwischen den einzelnen Ostkirchen selbst. Diese Unterschiede sind durch jeweils andere Schwerpunkte der Kirchen und durch unterschiedliche nationale und kulturelle Traditionen bedingt.
5. Orthodoxe Lebenspraxis
Die Liturgie gehört zum Kern orthodoxen Christentums und faszinierte bereits um das Jahr 1000 die Gesandten des Fürsten der Rus. Sie schreiben in ihrem Bericht über die Liturgiefeier in der Hagia-Sophia: "Wir wissen nicht, ob wir im Himmel waren oder auf der Erde. Denn einen solchen Anblick und eine solche Schönheit gibt es nicht auf Erden." Der orthodoxe Gottesdienst bzw. die Feier der Eucharistie gleicht einem "Mysterienspiel" (= geistliches Drama), in dem das Drama vom Kreuzestod und der Auferstehung dargestellt wird.
Die Messe hat den Charakter eines "Gesamtkunstwerkes", bestehend aus Gesängen und vor allem Symbolen und Symbolhandlungen, welche dem Gläubigen eine Ahnung göttlicher Wirklichkeit ermöglichen sollen. Mit dem Wissen um die Natur des Menschen - als einem Geschöpf aus Geist, Seele und Körper - vermittelt die Orthodoxie so den Glauben ganzheitlich und berührt Denken, Schauen und Fühlen. Diese ganzheitliche Sicht des Menschen in den orthodoxen Kirchen ist für nicht wenige Menschen der westlichen Kirchen faszinierend und anregend. Zugleich muss jedoch gefragt werden, wie weit sich Orthodoxie auf die gegenwärtigen Probleme der Menschen einlässt. Versucht sie, so wie westliche Theologie, auf Fragen aus dem Leben der Menschen einzugehen?
6. Geistliche Begleitung
Gerade am Wirken der Geistigen Väter oder Mütter (Gerontes bzw. Ammas) wird der Brückenschlag von Spiritualität und Leben deutlich. Nicht nur Mönche in Klöstern, sondern auch Laien erfahren durch geistliche Begleitung wichtige Stützen und Hilfen in der Bewältigung der alltäglichen Probleme.
Sakramente
Eine wichtige geistliche Begleitung in der orthodoxen Kirche muss in den Sakramenten gesehen werden. Hat im Westen das Sakrament eher den Charakter eines Vertrages, so steht im Osten das Ereignishafte, das Feierliche, das von Gott gewirkte Heil stärker im Vordergrund. Das Sakrament deutet auf die für den Verstand nicht mehr fassbare Dimension des Glaubens hin. Das Feiern der Sakramente gehört nach orthodoxer Auffassung nicht nur in den religiösen Bereich, sondern hängt sehr eng mit dem alltäglichen Leben zusammen und bestimmt so den Lebensrhythmus der Gesellschaft. Die Feier und der Vollzug der Sakramente wird in Wort, Gesang und Handlungen realisiert.
Die Orthodoxe Kirche kennt wie die römisch-katholische Kirche 7 Sakramente: Taufe, Eucharistie, Firmung, Buße, Weihe (zum Diakon, Priester), Ehe und Krankensalbung. Unter den Sakramenten ist die oben bereits beschriebene Feier der Heiligen Liturgie (Heilige Eucharistie) hervorzuheben. Sie ist nicht nur ein "Sakrament" unter den "Sieben", sondern ist das Herzstück der Sakramente, um die das ganze sakramentale und liturgische Leben geordnet ist.
6. Besonderes in der Orthodoxie: Heiligenverehrung, Marienverehrung, Ikonen
Heiligenverehrung darf hier keineswegs als konservative und verträumte Glorifizierung der alten Helden des Glaubens missverstanden werden, sondern will vielmehr deutlich machen, dass bedeutende Menschen des Glaubenslebens durch die Grenze des Todes nicht von uns völlig getrennt und vergessen sind, sondern im Gegenteil, für unser heutiges Leben als leuchtende Beispiele und Vorbilder für ein gelingendes Leben gelten können. In der Ostkirche sind vor allem folgende Typen von Heiligen nennenswert: die heiligen Krieger (Soldaten, die den Märtyrertod erlitten) und die "Säulenheiligen" (sie standen oft Jahrzehnte auf einer Säule – eine extreme Form der Frömmigkeit).
Die Marienverehrung ist ein wichtiger Bestandteil orthodoxen Christentums. Dabei ist zu bemerken, dass Maria in der Orthodoxie, vor allem in der Liturgie, in der Verehrung als Gottesmutter, große Bedeutung beigemessen wird. Zahlreiche Marienfeste im kirchlichen Festkreis unterstreichen dies. Darüber hinaus nimmt Maria im ökumenischen Dialog zwischen West- und Ostkirche einen wichtigen Platz als Bindeglied der gemeinsamen Tradition ein.
Nach heftigen Auseinandersetzungen, ob es nun erlaubt sei, ein Bild von Gott machen zu dürfen oder nicht, wurde gegen Ende des 8. nachchristlichen Jahrhunderts die Verehrung von Bildern neu diskutiert und schließlich erlaubt. Ikone heißt übersetzt Abbild und will in künstlerischer Form ein sichtbares Abbild des Unsichtbaren sein: ein Abbild höherer himmlischer Wirklichkeit, mit kunstvollen Darstellungen in Form von Metallreliefs, Email-, Elfenbein-, oder Marmorarbeiten. Da die Ikone als Abbild des Göttlichen gilt, ist ihr auch Verehrung zu erweisen, während Anbetung nur dem Urbild, Gott, gebührt. Für den Gläubigen ist die Ikone der Ort, an dem ihm der/die Heilige begegnet. An sie wendet er sich mit seinen Bitten, von ihr erwartet er die Hilfe des Heiligen, ihr erweist er die dem Heiligen zugedachte Ehre. Aufgrund der Heilkräfte, die man Ikonen zuspricht, werden auch Wallfahrten zu solchen Stätten unternommen.
Zum orthodoxen Brauchtum gehört neben der Ikonenverehrung das Anzünden von Kerzen in der Kirche, das Gebet, die Beteiligung am gemeinsamen Gesang, sowie das Niederknien oder Bekreuzigen. Im Gegensatz zu westlichen Kirchen herrscht in den Kirchen des Ostens den ganzen Tag über ein reges Kommen und Gehen. Weiters erhoffen sich orthodoxe Christen vom Wasser heiliger Quellen leibliche und seelische Gesundheit, vergleichbar mit dem "Heiligen Wasser" von Lourdes.
7. Kirchl. Leben und Feste, Festkalender
So wie die Liturgie mit besonderer Festlichkeit begangen wird, so verstehen die orthodoxen Christen auch die Feste des Kirchenjahres in besonderer Weise zu feiern. Mit Essen, Trinken, Singen, Tanzen wird der ganze Mensch in all seinen Dimensionen angesprochen und in die Feier hineingenommen. Wie in der westlichen Kirche gibt es Feste aus dem Leben Jesu, Mariens und der Heiligen.
Es gibt den Zyklus der unbeweglichen Feste, die jedes Jahr zum selben Datum gefeiert werden. Es sind dies Kirchenfeste und Festtage der meisten Heiligen. Zentrum ist hier das Weihnachtsfest, das Fest der Geburt Jesu. Da sich jedoch manche Orthodoxe Kirchen nach dem Julianischen Kalender richten, (wie z.B. die Russisch-Orthodoxe und die Serbisch-Orthodoxe Kirche) feiern sie z.B. Weihnachten um 13 Tage verschoben.(d.h. der 25. Dezember im Julianischen Kalender entspricht unserem 7. Januar im Gregorianischen Kalender) Beim Zyklus der beweglichen Feste steht das Osterfest im Zentrum.
8.Orthodoxie heute:Struktur u. Verbreitung
Die Orthodoxie kennt kein autoritäres geistliches Oberhaupt wie die röm.-kath. Kirche. Sie ist vielmehr ein Verband einzelner Nationalkirchen, vertreten durch ihre Patriarchate. Die 14 voll selbstständigen Kirchen sind die Patriarchate von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Moskau, Belgrad, Bukarest und Sofia, sowie die Nationalkirchen Zypern, Griechenland, Georgien, Polen, Tschechien und Albanien. Weltweit zählen die orthodoxen Kirchen ca. 250 Millionen Mitglieder.
9. Orthodoxe Kirchen in Deutschland
In Deutschland sind alle orthodoxe Kirchen vertreten und haben die meisten auch Pfarrgemeinden in den Bundesländern:
Serbisch-Orthodoxe Kirche (ca. 250.000 Mitglieder), Griechisch-Orthodoxe Kirche (ca. 400.000 Mitglieder), Rumänisch-Orthodoxe Kirche (ca. 7000 Mitglieder), Bulgarisch-Orthodoxe Kirche und Russisch-Orthodoxe Kirche.
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